Ein Erlebnisbericht von Michael H. (Oberstabsgefreiter d. R.)
„Auch schlechte Märsche müssen marschiert werden“
Ich habe es noch immer vor meinem geistigen Auge, als der S3 des Bataillons wohl mit einem Schmunzeln die Minimalinfos an die Übungsteilnehmer schickt: „Gehen Sie davon aus, dass Sie 48 Stunden aus Ihrem Rucksack leben müssen und Sie mehr als 5 km zu Fuß mit Ihrer Ausrüstung zurücklegen werden“. Das soll es an Informationen für die Teilnehmer auch schon gewesen sein. Selbst der im Btl-Block ausgehängte Dienstplan lässt diesmal nichts erahnen. Er ist geschwärzt. Die Kaltstartfähigkeit von Ausrüstung und die innere Einstellung sollen wohl ein Fokus der Augustübung werden. Manch einer der Mailempfänger könnte gewillt sein, seine Teilnahme zu überdenken. Sicherlich ließe sich noch eine private oder berufliche Verpflichtung finden, welche die Absage rechtfertigt. Doch Ausreden zählen nicht zu den Kernkompetenzen eines Infanteristen, ob Reservist oder Aktiver. Rosinenpicken gibt es ohnehin nicht und widerspricht der Kameradschaft, wenn die Kameraden sich darauf einlassen und all den Unwegsamkeiten stellen. Die meisten der gemeldeten Teilnehmer gehen vielmehr in den Zwist mit sich selbst, ob sie leichtes Gepäck für die Wegstrecke wählen und dabei auf Komfort verzichten oder den großen Rucksack bis zum Anschlag vollknallen. Die schwankende Wettervorhersage wird täglich geprüft und noch mehrmals umgepackt. Wie sich im Laufe des Wochenendes zeigen wird, gab es in der Frage wieder einmal kein richtig oder falsch. Man muss sie letztlich für sich entscheiden und selbst die Konsequenzen tragen.
Die Übung trägt den markigen Namen „Keilersprung“. Als ich den Namen in einer Mail das erste Mal las, assoziierte ich ihn direkt mit Dreck und Schlamm. Doch als Jagdscheininhaber, weiß ich auch, dass Keiler reviertreu sind und nicht sonderlich weit umherziehen und auch 6 km sind mehr als 5 km. Was mich zu dieser Überlegung brachte, weiß ich bis heute nicht. Völliges Wunschdenken. Es zeigt aber, wie man versucht selbst kleine Informationsstücke zu einem Lagebild zusammenzustellen und wie das trügen kann. In den WhatsApp-Gruppen wird ebenfalls wild spekuliert und zusammengereimt. Man munkelt bereits etwas von Flussüberquerung. Das führt bei mir zur nächsten falschen Assoziation. Ich packe den sexy blauen Blitz ein, weil ich denke, eine Flussüberquerung wird mit dem „Zeltbahnpaket“ stattfinden. Dass aus dem blauen Blitz im Endeffekt ein Schnellboot wird, war eine angenehme Überraschung. Die erste Lehre des Wochenendes für mich: Man kann sich noch so sehr vorbereiten und grübeln, es kommt doch anders als man denkt. In der Bundeswehr nennt sich das wohlwollend: „Leben in der Lage“.
Nach einer Arbeitswoche in den diversesten Berufen und Professionen treffen wir Reservisten am Freitagvormittag in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Oldenburg ein. Die Freude, die Kameraden wiederzusehen, steht jedem ins Gesicht geschrieben. Nach ein paar Handschlägen gibt es erste verwunderte Blicke, was denn zwei olivgrüne Anaroks der Koninklijke Landmacht hier machen. Es stellt sich heraus, dass nicht nur aus ganz Deutschland Reservisten anreisen, sondern auch vier niederländische Kameraden unseres Nachbarlandes dabei sein werden. Zwei Stabsoffiziere und zwei Unteroffiziere wollen uns kennenlernen. Es bahnt sich eine Truppenpartnerschaft an, wie sie bereits mit einer britischen Reserveeinheit besteht. Über das Wochenende hinweg wird Ausrüstung, Taktik und Auftrag verglichen. Die Verständigung klappt mit einem Mix aus deutsch und englisch sehr gut.
Vollgepackt, bewaffnet und mit grünen Gesichtern verlegen wir motorisiert in Richtung des Startpunktes unseres Gefechtsmarsches. Wieder einmal werde ich als Schrankendienst eingeteilt und soll die Verbindung zu nachrückenden Teilen halten. Die rote Beleuchtung eines Werbeschildes ließ mich unschwer in 70 m Entfernung die Einfahrt zu einem Etablissement der besonderen Art aufklären. Es war erst 12 Uhr am Mittag und es schien so, als seien die umliegenden Landwirte noch mit der Feldwirtschaft beschäftigt oder es gibt gerade Mittagessen im Beisein von Frau und Kind.
Von trockenem Mittagessen können wir nur träumen. Der erste Wolkenbruch kommt pünktlich beim Ausstieg am Absetzpunkt und es regnet sich so richtig ein. Schnell wurde der Schuldige gefunden. Ein Offizier sprach noch im Bus aus, wie gut es sei, dass es nicht regnete. Bei sämtlichen Untergebenen wich der Aberglaube dem Rationalen. Nochmal Danke, Herr Leutnant!
Befehlsausgabe und los geht der Marsch. Im Ergebnis: Marschdauer von 6,5 Stunden und 25 km durch strömenden Regen. Es wurde alles am Körper nass. Die Rucksäcke saugten sich voll und selbst der beste Regenschutz war irgendwann von beiden Seiten durchnässt. Der Zeitplan zum Auftragsziel war sportlich. Es wurde immer weitermarschiert, mit nur wenigen Pausen. Doch das war gut so. Sobald man zu lange stand oder saß, kühlte man aus und die Muskeln machten zu. Besser ganz monoton und stetig voranschreiten. Gesprochen wird bei einem Gefechtsmarsch aus taktischen Gründen kaum. Doch man konnte den Kameraden ansehen, dass irgendwann bei jedem irgendetwas zwickte und zwackte. Es gehört halt einfach dazu, zu beißen und weiterzumachen, wo andere aufhören würden. Jammern hilft an diesem Punkt wenig. Dennoch wird sich der ein oder andere während des Marsches gefragt haben, was er wohl auf seinem bisherigen Lebensweg so verbockt haben könnte, um an diesem Punkt seines Lebens angekommen zu sein. Im Nachhinein ist der Gedanke wieder völlig gelöscht. Man ist stolz mit den Kameraden durchgezogen zu haben.
Endlich, nass und erschöpft an der Weser angekommen, nehmen uns die Pioniere auf. In Päckchen zu fünf Infanteristen sollten wir die Weser in Schnellbooten überqueren, um auf der gegenüberliegenden Seite einen Brückenkopf einzurichten. Die Dunkelheit bricht herein. Unter dem Brummen des starken Außenborders und des Klatschens des Bugs auf dem Wasser setzten wir über. Naja nicht ganz. Das erste Päckchen, in dem auch ich saß, kam bis zur Mitte der Weser. Der Motor streikte. Per Hilfsboot wurden wir zum anderen Ufer geschleppt. Im Realfall ein heikler Moment. Bei einem Feindangriff wären wir diesem vollends ausgesetzt. Es wird einem wieder einmal bewusst, wie wir von der Technik abhängig sind und wie willkürlich eine solche Situation eintreten kann. Wie sich herausstellte, war die Spritzufuhr abgerissen. Ein technischer Fehler, den die Kameraden an ihren Booten noch nie hatten. Das Problem war schnell behoben und die anderen Gruppen konnten nacheinander unter unserer Sicherung übersetzen. Mit diesem Teil der Übung hat das UstgBtlEins 1 gezeigt, dass die Truppe nicht nur per Fuß, sondern auch motorisiert und per Boot verlegen kann. Alte Hasen des Btls erzählen am Lagerfeuer gar von einer luftbeweglichen Übung mit NH90-Hubschraubern.
Ab dem Brückenkopf verlegen wir in der Dunkelheit und im Regen wieder motorisiert in den Verfügungsraum und richten unser Biwack ein. Es findet sich schnell ein geeigneter Platz – Planen und Zeltbahnen erscheinen. Wie sich herausstellt, ist das Waldstück eine Metropolregion der gemeinen Nacktschnecke. Es dauert nicht lange, bis sie auf Ausrüstung und selbst Schlafsäcke verteilt sind. Einem Kameraden kroch eine Nacktschnecke über die mit einem Fliegennetz bedeckte Nase. Selbst wenn man seinen Julimondbeutel kurz unbeaufsichtigt ließ, konnte es passieren, dass er in kürzester Zeit von einer Schnecke erklommen wurde.
Die Stimmung in der Truppe hält sich am frühen Morgen in Grenzen. Während beim Marsch ein kleines Sturmgepäck von Vorteil war, dreht sich nun das Blatt. Morgens in klitschnasse, kalte Klamotten zu schlüpfen macht niemanden wirklich Spaß. Auch wenn die Marschstrecke am Vortag nicht übertrieben weit war, war die Erschöpfung zu spüren.
Unser Marsch führte uns durch zahlreiche Ortschaften und Feldlandschaften Niedersachens. Zahlreiche Passanten winkten uns zu, zeigten einen Daumen nach oben oder freuten sich einfach, dass sie hinter dem Fenster im Warmen sitzen, während wir im Regen marschieren. Ein Höhepunkt war sicherlich ein Kindergeburtstag, der für uns im Nieselregen Spalier stand. Ich war so euphorisch, dass ich meine Gumminbärchentütchen verteilte. Ich fühlte mich ganz kurz wie ein GI, der nach der Befreiung Europas Schokolade verteilt. Ein merkwürdiger Gedanke, der schnell verflog als ich merkte, dass ich nun selbst keine Gummibärchen mehr hatte. Ein taktischer Fehler!
Immerhin hat es kurz vor der Weckzeit am Samstagmorgen endlich aufgehört zu regnen und es klart auf. Am Vormittag dann Contact Drills, am Nachmittag Spähtrupps in Gruppenstärke. Wie sich herausstellt ist das Aufklärungsziel der Hof unseres Kommandeurs. Der anstrengende Teil der Übung war vorbei, das Wetter verbesserte sich, sogar die Sonne kam heraus und wir konnten Klamotten und Ausrüstung trocknen während wir für unser 5-jähriges Bataillionsjubiläum aufbauten, mitsamt Grillen und Jägertaufe.
Beim Abschlussantreten ließ der Kommandeur die letzten 5 Jahre seit der Entstehung in einem sehr persönlichen Rückblick Revue passieren. 40 Ausbildungsvorhaben sind in dieser Zeit durchgeführt worden. Doch damit sei noch nicht das Ende erreicht. Zeitnah werden wir einen Meilenstein in der Anzahl der ausgebildeten Jäger erreichen und weitere Planungen konkretisieren sich.
Bei der Jägertaufe wurde diesmal nur ein Kamerad in die Bruderschaft der Jäger aufgenommen. Da sich unsere Zeit im Whisky-Zugs überschnitt und wir uns super verstanden haben, freue ich mich darauf, dass er nun zu uns in den Alpha-Zug stößt und künftig das grüne Barett trägt.
Die Stimmung am Sonntagmorgen war ausgelassener als am Vortag. Man merkte förmlich wie die Anspannung abgefallen war. Man verglich die Größen seiner Blasen und schmiedete Pläne, wie man seine stinkigen Socken noch zu Geld machen könnte. Alles begleitet vom infantilen Lachen erwachsener Kameraden. Zusammen quälen, zusammen lachen, das ist die Kameradschaft, weswegen wir uns zu einem Wochenende wie diesem freiwillig melden und unserem Land dienen wollen. Außenstehenden fällt es oftmals schwer, dies zu verstehen.
Zusammenfassung der Übung (von PIZ Heer)
25 km Marsch von Oldenburg bis zur Weser - mit viel Regen....
Ein niederländischer Kamerad, der bei der Übung und beim Marsch im Rahmen unserer Truppenpartnerschaft mit 10 Natresbataljion mit dabei war, klatscht sich mit Zuschauern am Wegesrand ab.
Weserüberquerung
Eine Spähtrupp-Ausbildung war auch Teil der Übung
Bilder von StFw S., PIZ Heer. Danke fürs Teilen!