Mein Kollege ermutigte mich und schickte mir einen Artikel über eine Einheit in Oldenburg. „Meld dich da mal. Die Jungs sind gut!“ waren seine Worte. Denn zusammen in der gleichen Einheit hätte aus beruflichen Gründen nicht funktioniert, da wir in derselben kleinen Abteilung saßen.
Um mich vorzubereiten, kontaktierte ich jedoch zuerst die ortsansässige Reservistenkameradschaft. Dann ging es plötzlich sehr schnell. Ich war Reservist und hatte schon einen Satz Uniform erhalten. Nun fühlte ich mich der Aufgabe gewachsen, den nächsten Schritt zu machen und kontaktierte per Mail das Unterstützungsbataillon Einsatz 1 in Oldenburg. Schnell erhielt ich eine Antwort mit diversen Fragen zu meinem medizinischen Status, ob ich schon mal geübt hätte etc. und einer Auflistung der geplanten Übungen. Geplant, denn es war April 2020 und Corona war in vollem Gange. Doch bei einem Telefonat, mit dem Bataillonskommandeur persönlich, konnten wir alles klären. Ich würde Bescheid bekommen, wenn es die Situation zulasse und ich mich persönlich vorstellen könne. „Den Rest klären wir vor Ort“, sagte der Kommandeur. Und schon im Juni 2020 konnte ich an meiner ersten Reservedienstleistung teilnehmen.
Coronabedingt lief diese Übung aber doch etwas anders ab. Dennoch spürte ich, dass dies das Richtige für mich war. Nach der ersten Übung erfolgte eine weitere und das Resümee war wohl, dass der Typ mit den Luftwaffenschwingen zu gebrauchen sei.
In der Hochzeit von Corona organisierte das Bataillon diverse digitale Ausbildungs-Abende. Denn 2021 waren wir für die Ausbildung zum Jäger (Infanteristen) vorgesehen, die in Modulen ein Jahr dauert. Im April 2021 ging es dann los. Wir wurden in Gruppen eingeteilt die, soweit es die Lage zuließ, für den Rest des Jahres zusammenbleiben sollten. Da wir alle einen komplett unterschiedlichen Hintergrund hatten, fing die Ausbildung ganz von vorne an. Grundlagen wie Schützenreihe und Schützenrudel, Funkgerät, Karte, Kompass, Waffenausbildung an MG, Panzerfaust und Handgranate, Marschieren, Biwak, Alarmposten aber auch Höhepunkte wie Häuserkampf.
So kämpften wir uns durch die Wochenenden und, damals noch, zwei Wochen am Stück durch den Übungsplatz (heutzutage 2 x 1 Woche). Das alles unter Coronabedingungen. Das machte die Sache nicht einfacher. Ich spreche wahrscheinlich nicht nur für mich, aber jeder hatte wahrscheinlich in dieser Zeit immer mal wieder diesen Augenblick, in dem man denkt: „Was tue ich hier eigentlich?!“.
Dies kann nachts im Alarmposten sein, nach einem langen Tag oder wenn man die Erdziellafette trägt. Doch wenn man es geschafft und nicht aufgegeben hat, erfüllt es einen mit Stolz. Und schon am Tag nach der letzten Übung dachte ich mir, dass ich schon wieder los könnte.
Das Jahr vergeht. Wir nähern uns der finalen Übung. Unser Auftrag: Spähtrupp zu Punkt X. Dieser Spähtrupp wird mit Aufgaben gespickt. Erkunden der Straße auf Sperren oder IEDs, orientieren, Verwundetentransport, Feuerkampf u.v.m. In der Dunkelheit erreichen alle Spähtrupps eine Wiese, die vom Feuerschein erleuchtet ist. Das Bataillon ist im Fackelschein angetreten. Die Anwärter, die alle Module absolviert haben, werden einzeln aufgerufen. Der S3 überreicht mir mein Barettabzeichen - das goldene Eichenlaub der Jägertruppe. Dann der letzte Auftrag. Die fertig ausgebildeten Kameraden des Alphazuges stehen in einem langen Korridor aufgereiht.
„Hauptgefreiter! Geradeaus diese Richtung, die ich zeige, beim Kompaniechef melden! Mit Stimme!“
Ich durchschreite den Korridor. Die Kameraden beglückwünschen mich durch einen Schulterschlag. Am Ende nehme ich Haltung vor meinem Kompaniechef ein und melde mich lautstark in die „Bruderschaft der Jäger“. Geschafft. Nun ist man endgültig Teil des Bataillons.
Als alle Kameraden durch das Ehrenspalier gegangen sind, beglückwünscht man sich. Man lernt die ersten Kameraden des Alphazuges kennen und weiß direkt: es hat sich gelohnt.
Ab jetzt darf man das grüne Barett und die grünen Litzen tragen. Im Alphazug der ausgebildeten Jäger wird die Ausbildung, die man zuvor erhalten hat, vertieft, gefestigt und erweitert. Zuvor machte ich mir Gedanken, ob die „alten Hasen“ uns überhaupt akzeptieren. Völlig zu Unrecht, wie sich schnell heraus stellte. Sie nahmen uns auf, als wären wir schon immer in ihrem Zug gewesen. Wir lernten schnell Neues von ihnen. Was kann ich an Ausrüstung weglassen bzw. ersetzen, was sollte ich zusätzlich unbedingt mitnehmen. Aber auch wir konnten etwas Neues mit einbringen. Denn man lernt nie aus. Mit jeder Übung werden wir besser und machen neue Erfahrungen.
Das Bataillon versucht, wie es Raum, Zeit, Mittel und Kräfte zulassen, uns immer wieder etwas Neues zu bieten, um uns zu fordern. Denn nichts ist so beständig wie die Lageänderung. So richten wir uns in verlassenden Gebäuden zur Verteidigung ein, fahren mit Sturmbooten, schießen Panzerfaust, kämpfen im urbanen Gelände, bezwingen die Ortskampfbahn in Hammelburg, schlafen draußen, in Häusern, alten Bunkern oder Containern, erhalten Fremdwaffenausbildungen, Waldkampf u.v.m. Sogar einen Hubschrauberflug gab es schon, so erzählen „die Alten“ immer wieder.
Für mich und sechs weitere Kameraden gab es im Jahr 2023 dann etwas ganz Besonderes. Wir waren auf dem Truppenübungsplatz in der Oberlausitz und übten den Waldkampf. Am letzten Abend wurde ich und einige andere Kameraden in einen Raum gerufen. Dort wurde uns mitgeteilt, dass wir in der engeren Auswahl sind, für eine Übung bei unseren Truppenpartnern in Großbritannien, dem Royal Anglian Regiment. Es könnten leider nicht alle mitkommen, aber wir würden zu denen gehören, die dafür ausgewählt wurden und das an sich ist schon eine Ehre. Um uns vorzubereiten, versorgte uns unser POC Fähnrich H. regelmäßig mit Informationen. Wir absolvierten sogar den von den Briten geforderten „Weapons Handling Test“ am SA80 Sturmgewehr im Sennelager.
Im Oktober 2023 war es dann so weit. Mit sieben Kameraden fuhren wir mit zwei Kleinbussen ins Herz von England nach Upper Hulme. Das Wetter war uns nicht wohlgesonnen: Unwetterwarnung, Starkregen, Überschwemmungen und Sturm. Die Landschaft unbeschreiblich beeindruckend. Zu unserem Glück beruhigte sich das Wetter über Nacht und wir konnten, wenn auch eingekürzt,
zusammen mit den Briten üben. Danach waren uns alle einig: Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Was als nächstes kommt, weiß ich natürlich nicht. Was ich aber weiß ist, dass ich dabei sein werde, wann immer es geht. Ich möchte hier natürlich auch alle Interessenten ermutigen, den Schritt zu wagen. Man hat nichts zu verlieren. Durch die frühzeitige Planung, rund ein Jahr im Voraus, kann man die Termine gut mit Arbeit und Privatleben vereinbaren. Auch ist eine Absage möglich, wenn es dann doch mal gar nicht passt. Was man jedoch auf jeden Fall haben sollte, ist ein starker Wille und eine gewisse Grundfitness. Den Rest bringen wir euch bei. Die Reserve ist kein Hobby wie Fußballspielen. Wir üben für den Ernstfall. Wer nur Uniform tragen, durch den Wald laufen und Bier trinken möchte, kann zu den Reservistenkameradschaften oder den Pfadfindern gehen!